Erfolgsfaktor Standortwahl: „Wir bauen nur dort, wo wir auch willkommen sind“
Was für Hotels gilt, trifft auch auf Seniorenimmobilien zu: Auf den Standort kommt es an. Die Akzeptanz bei Bewohnern steht und fällt mit der Lage eines Neubaus. Was bei der Standortwahl zu beachten ist, schildern Heike Piasecki, Bereichsleiterin beim Beratungs- und Analyseunternehmen Bulwiengesa und Oliver Radünz, Geschäftsführer des Hamburger Investors HBB. Innerstädtischer Baugrund ist in Deutschland vielerorts knapp und teuer. Wie findet man trotzdem geeignete und finanzierbare Grundstücke für Pflegeheime? Oliver Radünz: Die HBB baut stets in zentralen Orten, gerne in Großstädten oder zumindest in zentralen Orten. Dort ist in der Tat Baugrund knapp, die Grundstücke teuer. Hinzu kommt, dass wir für ein Seniorenpflegeheim mit unserem Planungsvorstellungen vergleichsweise große Grundstücke benötigen. Es kommt genau genommen weniger darauf an, wen wir ansprechen als vielmehr im Vorwege genau zu wissen, was man will. Wir fahren in den Städten jede Straße ab, schauen uns die Quartiere genau an, den Wettbewerb. Man muss eine Stadt erst verstehen, bevor man handelt. Natürlich sprechen wir dann auch die Städte, die institutionellen Eigentümer, selten Makler, an. Die meisten Grundstücke finden wir aber selbst. Ich schätze, dass wir 70 Prozent unserer Grundstücke durch Eigenakquise, durch das Ablaufen der Städte, gefunden haben.
Erkennen Kommunen nicht die Vorteile von Spezialimmobilien wie Pflegeheimen? Wie etwa das Entstehen neuer, sicherer Arbeitsplätze?
Radünz: Das erleben wir sehr unterschiedlich. Viele Kommunen denken bei sozialer Infrastruktur an Kindergärten oder Schulen. Hinzu kommt, dass manche Kommunen einen Bedarf an stationärer Pflege zwar erkennen, sich im Hinblick auf die
Flächenausweisung aber wenig engagieren. Es geht aber natürlich auch anders. So hat das Sozialreferat der Landeshauptstadt München für die beiden Grundstücke, auf denen wir unsere Häuser realisiert haben, ein klares Anforderungsprofil formuliert und den Bedarf an stationären Pflegeplätzen klar kommuniziert. Die Grundstücke sind dann für eine solche Nutzung ausgeschrieben worden. Anders wäre in München eine Realisierung von Seniorenpflegeheimen bei den dort herrschenden Grundstückspreisen gar nicht möglich. So hat es die Landeshauptstadt geschafft, zwei moderne Seniorenpflegeheime mitten in München zu realisieren.
Was muss der ideale Standort für ein Pflegeheim mitbringen?
Radünz: Eine urbane, sozial und städtebaulich stabile Lage. Die Baulücke in einem gewachsenen Wohnumfeld. Die Nähe zu attraktiver Infrastruktur im urbanen Leben und eine gute Verkehrsanbindung. Vor allem aber das Gefühl, dass man sich am Standort wohl und sicher fühlt. Und welches Analyse-Raster legen Sie als Marktforscherin bei der Standortwahl an?
Heike Piasecki: In der gutachterlichen Beurteilung betrachten wir einen Mikrostandort immer aus drei Perspektiven: Bewohner, Angehörige und Besucher sowie Mitarbeiter. Für die Bewohner und auch deren Angehörige ist es wichtig, dass das Umfeld seniorengerecht ist. Was bedeutet das? Einbettung in eine möglichst urbane Struktur mit dem fußläufig erreichbarem Angebot von Grünflächen, Infrastruktur und Verkehrsanbindungen im ÖPNV. Es wird auch darauf geachtet, welche Querungshilfen an Straßen, Stichwort abgesengte Bordsteine oder Ampelanlagen, vorhanden sind. Für die Angehörigen, aber vor allem auch für die Mitarbeiter sind die Erreichbarkeit mit dem motorisierten Individualverkehr, aber auch mit dem ÖPNV ein wichtiges Standortkriterium.
Gibt es Ausschlusskriterien?
Radünz: Sehr viele! Die meisten Grundstücke sagen wir ab. Zu uns passt weder ein gewerbliches Umfeld, noch störendes Gewerbe. Auch sollte das Wohnumfeld, der Bezirk, der Kiez von einer Bevölkerung geprägt sein, für die unser Angebot an wohnortnaher Versorgung interessant sein kann. Insofern scheiden in der Regel auch Neubaugebiete für junge Familien aus. Wir suchen die typische Baulücke im gewachsenen Wohnumfeld.
Piasecki: Lassen Sie mich den Begriff Standort unterteilen: in Mikrostandort, das direkte Umfeld des Projektgrundstückes, und Makrostandort, die Stadt oder der Stadtteil, in dem das Pflegeheim errichtet werden soll. Einem Investor raten wir vom Mikrostandort ab, wenn beispielsweise die Immissionsbelastung dort als sehr hoch eingestuft wird. Das kann durch Lärm, aber auch durch permanente Gerüche der Fall sein. Des Weiteren sind eine unzureichende Verkehrsanbindung ein negatives Kriterium. Ein Makrostandort kann für die Errichtung eines Pflegeheims nicht geeignet sein, wenn sowohl durch die Nachfrageseite, aber auch durch ein sehr hohes Wettbewerbsangebot das Nachfragepotenzial als nicht nachhaltig eingestuft wird.
Welche Analysefaktoren kommen darüber hinaus zum Tragen?
Radünz: Wir haben dafür einen ganzen Katalog. Neben den auch von vielen Gutachtern und Instituten verwendeten sozioökonomischen Rahmendaten interessieren uns aber vor allem die Struktur einer Stadt und des bestreffenden Stadtteils und auch die Qualität und Ausrichtung unserer Wettbewerber und deren Lage. Für uns muss ein Standort das Potenzial haben, auch noch in 30 Jahren ein sehr guter Standort zu sein. Nachdem wir alle Kriterien sauber durchgeprüft haben, entscheidet dann am Ende das Bauchgefühl. Bislang sind wir damit gut gefahren. Und zu welchem Zeitpunkt in der Wahl eines Standortes steuert die Bulwiengesa ihre Daten bei?
Piasecki: Wir bringen unsere Beratungsleistungen in den meisten Fällen im Rahmen der Ankaufsprüfungen ein. Die Begutachtungen umfassen mehrere Bereiche: In der Analyse des Makrostandortes werden charakteristische Indikatoren der Stadt beurteilt. Dazu gehört die Einwertung der Verkehrssituation, die Infrastruktur, der Arbeitsmarkt sowie das Image. Die Bewertungsmerkmale eines Mikrostandortes habe ich ja bereits erläutert. In der Behandlung der Betrachtungsebene Nachfrage werden im definierten Untersuchungsgebiet vor allem soziodemographische Daten, wie die Einwohnerentwicklung, die Altersstruktur der Personen über 65 Jahre, die Pflegestatistik oder die Einkommensentwicklung herausgearbeitet. Wichtig ist hierbei, dass immer der Blickwinkel auch auf die Prognose der Werte gerichtet wird, denn es geht ja um langfristige Immobilieninvestments. In der Angebotsbetrachtung beurteilen wir den Wettbewerb: Wie ist er baulich strukturiert? Welche Lagekriterien weist er auf? Wie sind die Kosten- und Auslastungsstrukturen und wer sind die Betreiber? In der Bedarfsberechnung werden die Erkenntnisse aus der Nachfrage- und der Angebotsanalyse dann zusammengeführt und das künftige Nachfragepotenzial für die geplante Einrichtung abgeleitet.
Ist es denn vor dem Hintergrund in Großstädten grundsätzlich leichter, ein Projekt umzusetzen als in kleineren Städten?
Radünz: Nein, das trifft so nicht zu. Es kommt allein auf den individuellen Willen einer Stadt, ihrer Politik und Verwaltung an und auf die Aufgeschlossenheit und die fachliche Sicherheit der handelnden Personen. Wir bauen von der Kieler Förde bis zur österreichischen Grenze. Wir haben in sehr großen Städten erstklassige Erfahrungen in der Konstruktivität und im Interesse an einer guten Lösung für die Stadt gemacht. In München war die Zusammenarbeit mit der Stadt mustergültig – obwohl dort sehr konkrete und teilweise konträre Vorstellungen über Fragen bestanden. Aber in guten Gesprächen haben wir stets sehr zeitnah Lösungen gefunden. Gleiches gilt für viele unserer Bauvorhaben in Berlin.
Welche Partner braucht man als Investor, um an einem Standort langfristig erfolgreich zu sein?
Radünz: Als Bestandshalter und Investor bauen wir nur in Städten, in denen wir willkommen sind. Für das Bauvorhaben bemühen wir uns, mit regionalen leistungsfähigen Bauunternehmen zusammen zu arbeiten, damit die Bauleistung in der Region verbleibt. Auch streben wir und der Betreiber die Zusammenarbeit mit den Städten, vorhandenen sozialen und gesundheitlichen Einrichtungen wie Kliniken, mit Ärzten und sozialen und gesellschaftlichen Netzwerken an. Das kann zu ganz
unterschiedlichen Kooperationen oder auch Interessengemeinsamkeiten führen.
Wie pflegt man diese Netzwerke vor Ort?
Radünz: Nachhaltig und glaubwürdig sollte man dies tun. Wir entwickeln jahrelang an unseren Premiumstandorten – in dieser Zeit bauen wir uns häufig vielfältige intensive Kontakte in einer Stadt auf. Diese leiten wir dann mit Baubeginn und spätestens mit Fertigstellung auf unseren Betreiber Domicil über. Da wir jedoch Bestandshalter sind, haben wir als HBB bei allen unseren Häusern auch weiter – teilweise intensiven – Kontakt zu den Ansprechpartnern in Politik und Verwaltung – und auch vielfach zu unserer Nachbarschaft. Zudem entsteht über die Jahre zu vielen Menschen, mit denen man zu tun hat, ein Vertrauensverhältnis. Das bleibt auch nach Abschluss der eigentlichen Tätigkeit bestehen.
In einer aktuelle Analyse prognostiziert Bulwiengesa einen Bedarf von 372.000 Plätzen in der vollstationären Pflege bis zum Jahr 2024. Wie kommen Sie auf diese Zahl?
Piasecki: Der erhebliche demografiebedingte Bedarf ergibt aus der Gegenüberstellung der Prognose der stationär Pflegebedürftigen, der durch den starken Anstieg der künftigen Senioren der Babyboomer-Generation getragen wird und dem Angebot, dem eine Fortschreibung der aktuellen Bautätigkeit in der stationären Pflege unterstellt wird. Zu beachten ist hierbei, dass diese Vorausberechnungen unter Einschränkungen leiden, da die zentralen Bestimmungsfaktoren weitestgehend vereinfachend konstant gehalten wurden. Allein durch definitorische Änderungen des Gesetzgebers kann sich die Zahl der Pflegebedürftigen ändern. Unberücksichtigt bei den gesamten Berechnungen bleibt die Problematik der notwendigen Pflegekräfte, um diese Einrichtungen zu betreiben.
Und wie schätzen Sie in Anbetracht von explodierenden Kosten, Lieferengpässen und globalen Krisen die Chancen ein, dass diese Bedarfslücke geschlossen werden kann?
Piasecki: Negativ. Schon ohne die genannten aktuellen Krisenelemente zeigt die Auswertung der Planungs- und Bautätigkeit der vergangenen zwei bis drei Jahre, dass die Bedarfslücke mit dem vorhandenen Tempo nicht zu schließen ist. Neben den Themen Grundstücksverfügbarkeit und Finanzierung wirken die zunehmenden gesetzlichen Regulatoriken sowie die förderalistischen Strukturen und Gesetzgebungen nicht bauförderlich.
Quelle: CARE INVEST, Hannover